Gesang als Medizin
…Ich erinnere mich an ein schreckliches Bild in einem Kinderbuch, dass sich seitdem in mein Gehirn eingebrannt hat: Der Tod sitzt auf der Brust des schwerkranken chinesischen Imperators und schaut auf ihn mit seinen leeren, schwarzen Augenhöhlen. Mit seinen knochigen Armen hält der Tod die Fahne und das Zepter des Imperators. Die Krone des Imperators sitzt fest auf dem Schädel des Todes…
Als ich schon älter war und mein Vater mich bereits im Gesang unterrichtete habe ich erfahren, dass jenes Bild aus dem Märchen „Die Nachtigall“ von Hans Christian Andersen stammt. Eine kleine, graue Nachtigall hatte mit ihrem wunderschönen Gesang den Tod verjagt, aber dafür keine Belohnung genommen. Die Tränen des Imperators waren die kostbarste Entlohnung für ihren Gesang.
Mein Vater sagte mir damals: „Ein Sänger sollte so singen, dass die Menschen Tränen in die Augen bekommen und der Gesang ihre Herzen erreicht“…
… Dieses wunderbare Märchen hat mich zu der Idee inspiriert, für alte und kranke Leute zu singen. Mit meinem Gesang möchte ich diesen Menschen in ihrem letzten Lebensabschnitt Freude und Ablenkung bereiten.
Für dieses besondere Publikum habe ich ein besonderes Konzertprogramm zusammengestellt, welches ich „Vergessene Lieder aus der Zeit der Schellackplatten“ genannt habe.
Dieses Programm beinhaltet vor allem die Schlager aus den 20er und 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts (Lilian Harvey, Rudi Schuricke, Magda Hain, Rosita Serrano), Lieder aus alten deutschen Spielfilmen sowie deutsche Volkslieder. Mein Publikum nimmt dieses Repertoire mit Begeisterung auf. Viele der Lieder stammen aus der Kinder- und Jugendzeit meiner Zuhörer. Zahlreiche Lieder werden sogar mitgesungen. Während meiner Konzerte bekomme ich von meinen Zuhörern sehr viel Zuspruch. Bei jedem meiner Auftritte sehe ich die Tränen in den Augen der Menschen. Das ist ein echter Beweis, dass ich meine Zuhörer berührt habe, oder wie mein Vater sagen würde „ich habe die Herzen erreicht“. Für mich als Sängerin ist das die höchste Form der Anerkennung.
Von großer Bedeutung sind für mich meine bettlägerigen Zuhörer und insbesondere Menschen, die an Demenz erkrankt sind. Für diese Gruppe verlege ich meine Konzerte gerne auch direkt in das Patientenzimmer oder auf die jeweilige Station